Facebook scheint mit einem seiner Grundprinzipien zu brechen. Wie die New York Times berichtet, soll das Netzwerk an einer App feilen, die anonymes Kommentieren ermöglicht. Für die Nutzer dürfte das aber mehr Nach- als Vorteile bringen. Facebook sollte besser seine Klarnamen-Politik überdenken.

UPDATE, 28.11.: 

Die Rooms-App ist nun auch für deutsche Nutzer verfügbar, vorerst allerdings nur für iOS.

UPDATE, 25.10.: 

Das Geheimnis ist gelüftet. Facebook hat am 23. Oktober eine neue App namens „Rooms“ vorgestellt. Diese ist komplett von Facebook abgekoppelt und setzt auch keinen Facebook-Account voraus. Wie der Name bereits nahelegt, ermöglicht die App lediglich das Posten in speziellen Chat-Räumen, welche von den Nutzern der App erstellt und verwaltet werden können. Zutritt zu den Chat-Räumen erhalten die Nutzer per Einladung in Form eines QR-Codes. Die Befürchtung, dass Facebook von anonymen Kommentaren überflutet wird, hat sich also als unbegründet erwiesen. Wann die App auch für deutsche Nutzer ausgerollt wird, ist noch unklar.

Revolution mit vielen Fragezeichen

Anonymität war für Facebook bislang ein Fremdwort. Das soll sich jetzt ändern. Foto: xixinxing - Fotolia.com #55839200
Anonymität war für Facebook bislang ein Fremdwort. Das soll sich jetzt ändern. Foto: xixinxing – Fotolia.com #55839200

So manch einer wird sich verwundert die Augen gerieben haben, als vor wenigen Tagen die New York Times (und in der Folge mehr und mehr weitere Medien) unter Berufung auf eingeweihte Informanten verkündete, Facebook feile an einer Möglichkeit, anonymes Kommentieren zu erlauben. Facebook und Anonymität? Das passt angesichts der rigiden Klarnamen-Politik des Netzwerk-Riesen, der seine Nutzer sogar dazu anhielt, die Identität ihrer Freunde zu bestätigen (oder im Umkehrschluss: anonyme User zu verpetzen) eigentlich gar nicht zusammen. Doch worum geht es eigentlich genau?

Generell scheint festzustehen, dass es a) eine App geben soll, an der b) die Entwickler schon seit einem Jahr arbeiten, und die c) schon in den nächsten Wochen veröffentlicht werden soll. Unklar ist hingegen, ob diese App nun anonymes Kommentieren oder Posten innerhalb des gesamten Facebook-Angebots erlauben soll, oder ob die Funktion nur für spezielle Chats oder Gruppen verfügbar gemacht wird. Ebenso fraglich ist, ob die App autark funktioniert oder dem Facebook-Netzwerk angegliedert wird. In letzterem Fall wüsste also zumindest Facebook, welcher „echte“ Nutzer hinter einem anonymen Posting steckt.

Fortsetzung des Klarnamen-Streits

Zumindest die Information, dass die Entwickler bereits seit einem Jahr an der App arbeiten, spricht dagegen, dass es sich um einen Schnellschuss als Reaktion auf die aktuell diskutierte Nutzerflucht zum Netzwerk Ello handelt. In den vergangenen Wochen verzeichnete die Facebook-Alternative einen rasanten Nutzeranstieg, den viele Beobachter auf die Klarnamen-Pflicht bei Facebook zurückführten. Insbesondere einige Transvestiten und Dragqueens hatten sich öffentlich gegen Facebook gewandt, weil sie sich von der bisherigen Regelung in ihrer Selbstbestimmung und freien Persönlichkeitsentfaltung diskrimiert fühlten. Sie sehen es nicht ein, dass Facebook einen Künstlernamen nicht akzeptiert, der Teil ihrer Persönlichkeit und Außendarstellung sei und sie zusätzlich vor Anfeindungen schütze.

Vorausgegangen war dieser öffentlichkeitswirksamen „Massen“-Flucht eine Welle von Profillöschungen seitens Facebook aufgrund fehlender Klarnamen. Nachdem der Exodus zu Ello auch in den Medien seinen Widerhall fand, reagierte Facebook prompt und entschuldigte sich für die verfehlte Klarnamen-Politik. Man habe Fehler begangen, die Klarnamen-Pflicht sei nie so gemeint gewesen, und die Löschwelle auf einen einzelnen User zurückzuführen, der massenhaft die entsprechenden Profile gemeldet habe.

Hierzu passend folgt nun also – sofern die Quellen Recht behalten – eine App, die das Kommentieren unter Pseudonymen erlauben soll. Viele Nutzer mögen das zunächst als positiv im Sinne einer Lockerung der in vielen Bereichen sehr restriktiven Facebook-Richtlinien halten, wie z.B. besagte Klarnamen-Pflicht, das Brustwarzen-Verbot (wohlgemerkt auf Abbildungen von Frauen beschränkt) oder das Like-Limit. Gleichwohl muss man differenzieren zwischen der Klarnamen-Pflicht auf der einen Seite und vollkommen anonymen Facebook-Usern auf der anderen Seite.

Gratwanderung zwischen Liberalisierung und Anarchie

Klarnamen sind eine wichtige Voraussetzung, um bei Facebook Freunde zu finden. Foto: Artur Marciniek - Fotolia.com #44560660
Klarnamen sind eine wichtige Voraussetzung, um bei Facebook Freunde zu finden. Foto: Artur Marciniek – Fotolia.com #44560660

Die Klarnamen-Lockerung steht zwar prinzipiell dem Sinn und Zweck eines sozialen Netzwerks entgegen, in dem man annähernd jeden Menschen auf der Welt anhand seines Namens finden können soll. Fraglich ist jedoch, ob Menschen zur Veröffentlichung ihres Namens gezwungen werden sollten, wenn sie Facebook vielleicht nur als News-Aggregator oder für den engeren Freundeskreis verwenden wollen, ohne dabei direkt von ihrem Arbeitgeber oder Verflossenen gefunden werden zu können. Viele Nutzer pfeifen daher schon seit jeher auf die Klarnamen-Pflicht und geben sich Namen wie Katha Rina oder Volker Racho – womit sie allerdings jederzeit dem Risiko ausgesetzt sind, gemeldet und anschließend gelöscht zu werden. Würde Facebook die Klarnamen-Pflicht begraben, wäre es daher eher unwahrscheinlich, dass die Nutzer sich scharenweise Pseudonyme geben würden. Die Mehrzahl würde wohl weiterhin lieber gefunden werden können.

Völlig anonyme Facebook-User hingegen täten dem Netzwerk sicherlich nicht gut. Bereits jetzt hat es genug Probleme mit Cyber-Mobbing, Spam-Schleudern, Like-Zombies und ähnlichen Auswüchsen. Fanpages, insbesondere von Nachrichten-Portalen stöhnen dagegen über Kommentatoren, die offenbar keinerlei Probleme damit haben, auch unter ihrem Klarnamen offen rassistische, homophobe, menschenverachtende, beleidigende, gewaltverherrlichende oder schlicht strafbare Kommentar unter Artikel zu posten. Inwieweit solche Erscheinungen im Zuge völliger Anonymität ausufern würden, lässt sich nur unter Magenschmerzen ausmalen. Wobei völlige Anonymität natürlich relativ zu verstehen ist. Denn anonym ist im Internet – Stichwort IP-Adressen – ohnehin nichts, außer man geht den Weg über Proxy-Server.

Mehr Anonymität für mehr Personalisierung

Dennoch, auch Mark Zuckerberg wird um diese Problematik wissen, weshalb das wahrscheinlichere Szenario ist, dass die Pseudonyme an bestehende Profile gekoppelt bleiben und Facebook weiterhin eine eindeutige Zuordnung der Urheber ermöglicht. So behielte Facebook weiterhin die Kontrolle und könnte aus der vermeintlichen neuen Offenheit noch zusätzliches Kapital schlagen. Denn wer sogar die geheimsten Gedanken seiner Nutzer kennt, die jene nur anonym zu teilen bereit sind, macht sich im Hinblick auf personalisierte Werbung noch mal ein ganzes Stück attraktiver für potenzielle Werbekunden.

Vielleicht wird Facebook aber auch wieder einmal sämtliche Spekulationen Lügen strafen und etwas völlig anderes, eventuell auch gänzlich Unspektakuläres aus dem Hut zaubern. Möglicherweise bleibt es wirklich nur bei einer anonymen Chat-Möglichkeit, die weitere Nutzer zu Facebook locken soll oder gar völlig von Facebook abgekoppelt ist. Lassen wir uns überraschen.

 

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