Schönheit, Schlankheit, Produktivität: Soziale Medien inszenieren gerne mustergültige Lebensweisen. Ständig entstehen neue Trends, die angeblich zur Selbstoptimierung führen. Sie fördern gefährliche und unrealistische Leitbilder, denen so einige User zum Opfer fallen: Die toxischen Ideale auf Social Media. Unsere Autorin hat sich zwei Trends mal genauer angeschaut.
Um 4 Uhr klingelt der Wecker. Augenblicklich verlässt die junge Frau das Bett und schlüpft in ihre Sportklamotten. Nach einer ausgiebigen Yoga-Session schreibt sie in ihr Tagebuch und bereitet sich ein buntes Frühstück zu. Anschließend erledigt sie den Hausputz, duscht und stylt sich. Pünktlich um 7 Uhr verlässt sie fit und gut gelaunt das Haus.
Zu schön, um wahr zu sein
Klingt realistisch? Wohl kaum. Aber es ist perfekt für die wunderbar inszenierte Scheinwelt von Social Media. In kurzen Reels zeigen etliche gut aussehende Frauen – sogenannte “That Girls“ – ihre morgendlichen Routinen, die meist um 4 Uhr in der Früh beginnen. Das Ziel? Die vermeintlich beste Version von sich selbst zu werden. Es wird suggeriert, man könne nur schön und erfolgreich sein, wenn man vor Morgengrauen aufsteht und die ideale Routine befolgt. Die Videos der “That Girls’’ sollen motivieren und inspirieren, die eigenen Gewohnheiten zu überdenken und neue Routinen zu etablieren.
Doch jetzt mal ehrlich: Statt Motivation entsteht vor allem Frustration. Schnell kommen Selbstzweifel auf: Warum stehe ich nicht so früh auf und bin sofort produktiv? Das letzte Mal Sport? Viel zu lange her! Und wieso kann ich um 4 Uhr morgens nicht so makellos aussehen?
“That Girl’’ – ein Trend, der toxischer nicht sein könnte, denn man darf vor allem eines nicht vergessen: Social Media ist nicht real. Die Szenen dieser idealen Morgenroutinen sind explizit für solche “That-Girl“-Videos gestellt worden. Egal, wie sehr man sich also anstrengt, seine Gewohnheiten zu optimieren – so wie auf Social Media wird es doch nie aussehen. Das Streben nach Perfektion, die nur inszeniert wurde und damit niemals wirklich zu erreichen ist, mündet in purer Enttäuschung. Es vermittelt das Gefühl, niemals gut genug zu sein.
Strikte Kontrolle durch »Mandel-Mütter«
Doch das ist längst nicht alles. Ein weiteres Phänomen, das sich auf Social Media verbreitet hat, sind sogenannte “Almond-Moms“. Dabei handelt es sich um Mütter, die engmaschig kontrollieren, wie ihre Kinder sich ernähren. Solchen Müttern geht es aber nicht darum, auf die Gesundheit ihrer Kinder zu achten. Vielmehr wollen Almond-Moms ihre eigenen schlanken Körperideale mit allen Mitteln auf ihre Kinder übertragen. Um das zu realisieren, dürfen ihre Kinder nur kleine Portionen von ausschließlich gesunden Nahrungsmitteln zu sich nehmen. Der Konsum von zuckerhaltigen Lebensmitteln wird hingegen stark eingeschränkt oder sogar ganz verboten. Die Kinder bekommen zum Beispiel keine Süßigkeiten, sondern stattdessen eine Handvoll Mandeln (daher auch die Bezeichnung “Almond-Mom“, vom englischen Almond für Mandel).
Die Kinder solcher Mütter äußern sich jetzt immer häufiger in den sozialen Netzwerken. Sie erzählen, welche Auswirkungen die extreme Kontrollsucht der Almond-Moms auf ihre mentale und körperliche Gesundheit haben. Viele dieser Kinder haben ein gestörtes Verhältnis zum Essen entwickelt und versuchen zwanghaft, dem idealen Körperbild ihrer Mütter gerecht zu werden. Häufig hat sich bereits im Kindesalter ein krankhafter Ernährungs- und Fitnesswahn entwickelt. Kein Wunder also, dass viele Kinder solcher Almond-Moms über eine schwierige Beziehung zu ihren Müttern berichten.
Allerdings gibt es auch noch eine andere Sichtweise auf die fragwürdigen Maßnahmen der Almonds-Moms. Einige User haben begonnen, das Verhalten dieser Mütter zu rechtfertigen, indem sie die positiven Seiten einer zuckerfreien und körperfokussierten Ernährung herausstellen. Sie sind der festen Überzeugung, dass Almond-Moms nur die besten Absichten haben. Die betroffenen Kinder sollten deshalb lieber dankbar sein, dass ihre Mütter durch strenge Kontrolle dafür gesorgt haben, dass sie jetzt einen schlanken und gesunden Körper haben.
Weil sich auch diese Meinung verbreitet, wurde der Prototyp “Almond-Mom“ nach und nach zu einem toxischen Trend in den sozialen Medien. Social Media impliziert, dass die strikte Kontrolle der Nahrungsaufnahme bei Kindern der richtige Weg zu einem gesunden Körper sei. Ein solch romantisiertes Bild der Almond- Moms beschönigt ein ungesundes Essverhalten und gefährdet damit besonders die Jüngsten.
Fazit: Macht einen Realitätscheck!
Diese Trends sind nur zwei populäre Beispiele aus einem Ozean von toxischen Idealen in den sozialen Medien. Gesundheitsschädliche, häufig eigens für Social Media inszenierte Lebensweisen werden beschönigt dargestellt und als optimaler Weg zur Selbstoptimierung angepriesen.
Aber was ist eigentlich so gefährlich an toxischen Idealen auf Social Media? Im Prinzip könnten User ja auch einfach wegschauen und solche Trends damit boykottieren. Ganz so einfach ist das wohl nicht, denn soziale Medien verändern nun mal die menschliche Wahrnehmung. Die Nutzer verlieren sich gerne in der Idealwelt von Social Media und genießen die scheinbar unbegrenzten Möglichkeiten, die ihnen dort präsentiert werden. Statt kritisch zu reflektieren, glauben sie bereitwillig alles, was sie sehen. Die sozialen Medien eben auch für viele Menschen ein Zufluchtsort: Raus aus dem wahren Leben und rein in eine kunterbunte Welt aus vermeintlicher Perfektion. Sie möchten so schön, so glücklich und so produktiv sein wie die Menschen, die ihnen auf Social Media begegnen. Deshalb beginnen sie, diese nachzuahmen. Sie verfolgen ständig neue Trends und versprechen sich davon große Veränderung, ohne sich Gedanken über die Auswirkungen zu machen.
Wie kann man sich also davor schützen? Soziale Medien sind Teil unseres Alltags geworden und haben reichlich positive Veränderungen bewirkt. Man bleibt vernetzt, informiert und kann sich immer wieder inspirieren lassen. Es ist trotzdem wichtig, auch die Risiken zu kennen – besonders wenn es um neue Trends geht. Social Media bewusst zu nutzen und ab und an einen Realitätscheck durchzuführen, kann ein erster richtiger Schritt sein. Denn: Produktivität geht definitiv auch zu humanen Uhrzeiten und gesunde Ernährung ist auch ohne krankhafte Kontrolle möglich.
Die Entstehung und Verbreitung von toxischen Trends wird sich wohl auch zukünftig kaum verhindern lassen. Es liegt an uns, zu reflektieren und wachsam zu bleiben.