Die amerikanischen Präsidentschaftswahlen haben die Welt ganz schön auf Trab gehalten. Während Trumps Lager 2016 die Strukturen, Fußangeln und dreckigen Tricks der Netzwelt noch eindeutig besser zu nutzen wusste, konnte diesmal niemand mehr behaupten, man wäre nicht auf das Schlimmste vorbereitet gewesen. Wir haben eine kleine Kollektion bunter Meldungen zusammengestellt, die den Wahltag in den Social Media dokumentieren und wie sich Politik und Netzwerke für den digitalen Kampf aufgestellt haben. Und am Ende gibt’s auch noch ein Lehrstück zu Fake-News. Gute Unterhaltung.

#DE-CIX – Hohes Verkehrsaufkommen

Ganz gleich ob Videokonferenzen oder Netflix & Co.: Bereits die Pandemie war und ist ein immenser Booster auf den deutschen Datenautobahnen. Aber der Spitzenwert wurde nun dank der US-Wahlen erreicht. DE-CIX, Betreiber des Knotenpunktes in Frankfurt, meldete für die Abendstunden des Wahldienstags 10 Terabit pro Sekunde – der bis dahin höchste Wert. Laut den Datenfüchsen entspricht das einem Übertragungsvolumen von 2,2 Millionen HD-Videos, oder, analog ausgedrückt, 2,2 Milliarden DIN A4 Seiten, was aufeinander gestapelt ungefähr 220 Kilometer Papierhöhe ergäbe.

DE CIX
Quelle: DE-CIX

#Facebook – Frühzeitiger Verkündungserguss

Zuckerbergs kennen ihre Pappenheimer: Facebook verkündete bereits frühzeitig, dass es auch nach dem Wahltag zunächst keine Werbung mit politischen Inhalten in den USA zulässt. Der Grund ist so erhellend wie ernüchternd. In einem Blogpost erklärte ein leitender Produktmanager schon Anfang Oktober, dass man befürchte, ein Kandidat könne sich bereits vor der offiziellen Verkündung selbst zum Sieger erklären und dies dann mit Werbebudget massiv verbreiten. Aber auch jenseits der Anzeigenschaltung würde man jede Fehlinformation als solche labeln. Wir denken nicht, dass die Facebook-Manager da Biden im Verdacht hatten. Und so ist es ja auch gekommen.

#Pornhub – Nackte Zahlen, harte Fakten

Auch unsere geschätzten Freunde aus Pornhubs Statistikabteilung haben geschaut, wie sich die Wahlen auf den Konsum in ihrer Branche, also der digitalen Erwachsenenunterhaltung, ausgewirkt haben. Bereits die erste Fernsehdebatte zwischen Biden und Trump hat zu einem eklatanten Verkehrseinbruch von 18,5 Prozent geführt. Allerdings ist der Traffic nach dem TV-Event auch um 5 Prozent über Normal hochgeschnellt. Verständlich, die erste Debatte war ja auch sowohl enttäuschend wie auch frustrierend.

Quelle: Pornhub

Aber der Trend, dass Wahlinformationen ein echter Show-Stopper für die harte Erotikbranche bedeuten, setzte sich auch am Wahlabend fort: Je weiter es in Richtung Abendstunden ging und potentielle Trendmeldungen zu erwarten waren, desto mehr sank das „Verkehrsaufkommen“. Erst als sich abzeichnete, dass das endgültige Ergebnis noch auf sich warten lassen würde, widmeten sich die Kunden der Online-Erotik wieder ihren einfacheren Instinkten.

Wir können diese Meldungen aber nicht abschließen, ohne noch kurz auf die Suchbegriffe der Branche einzugehen. Pornografische Präferenzen sind soziopsychologisch ein sehr interessantes Thema. Dass man in Trumps Lieblingsstaat Florida auch auf Pornoseiten primär nach „Trump“ gesucht habe, finden wir dabei (vorsichtig gesagt) bemerkenswert.

#PaulaWhite – Oh Wahlsieg, komme herbei!

Die Wahl hat unzählige Memes und skurrile Momente durchs Netz gespült. Aber ein Video hat den Grad der Verrücktheit des Trump-Lagers gut dokumentiert: Paula White ist die spirituelle Beraterin des (Noch-)Präsidenten. Dass sie am Wahlabend den Sieg herbeibeten wollte, ist zumindest sehr originell. Wie kommt sie darauf, dass welcher Gott auch immer ausgerechnet Trump helfen würde? Vielleicht hat sie aber auch in die andere Richtung gebetet. Ab Minute 0:30 geht’s jedenfalls richtig los und wir sind uns fast sicher, dass hier auch einige Formeln aus dem Necronomicon dabei waren.

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#Twitter – Der markierte Donald

Sollten wir erstaunt sein, dass gut zwei Drittel aller Trump-Tweets von Twitter als fragwürdig oder Fake-News gelabelt wurden? Nein, natürlich nicht.

Neben abstrusen Behauptungen, die seinem Geist entsprangen, setzte der POTUS wie immer auf fragwürdige Informationen ungeprüfter Quellen aus dem Verschwörungsmilieu oder rechtsradikale Publizisten wie „Breitbart“, mit Trumps ehemals offiziellem Strategieberater Bannon, welcher bei Facebook wegen Fehlinformationen auch schon seinen Hut nehmen durfte. Und während ihm sein Haus-Sender Fox News zunehmend die Gefolgschaft versagt, hat es mittlerweile die offen lügende Hofberichterstatterin Chanel Rion von OAN in Trumps Propaganda-Portfolio geschafft.

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Damit könnte es bald aber eh vorbei sein. Laut verschiedener Quellen profitiere Trump noch vom Status einer „nachrichtlich relevanten Persönlichkeit“ (newsworthy individual). Das bedeutet, gewählte Offizielle mit mehr als 250.000 Followern erfahren eine spezielle Behandlung. Mit anderen Worten, sie fliegen nicht von der Plattform, auch wenn sie pausenlos Märchen, Hetze und Lügen verbreiten. Diesen Status würde Trump im Januar verlieren. Warten wir mal ab.

#Parler – Telegrams (noch) konservativer(er) Cousin?

Apropos Twitter: Konservative Kreise scheinen den Braten schon zu riechen. Denn unter massiver Mitfinanzierung des manipulativen Mercer-Clans (Cambridge Analytica, Breitbart etc.) wurde das konservative Twitter-Pendant Parler aus der Taufe gehoben. Wenig überraschend, dass unter den namhaften Accounts überwiegend Leute mit prominenter Verbindung zu Trump und der neuen Rechten, bis hin zu Rechtsextremen, gelistet werden.

Und wieso ist das im Dunstkreis der Wahlen interessant? Seit dem Wahlabend boomt diese App und konnte bereits über eine Million Downloads verzeichnen. Dann kann Trump wenigstens noch ungefiltert an seine unreflektierte Gemeinde weiterpredigen, wenn ihm sonst keiner mehr zuhört. Etablieren könnte sich ein konservativ ausgerichtetes Netzwerk jedoch nur, wenn es nicht nur durch Mitglieder, sondern auch durch Werbepartner unterstützt wird. Bleibt das aus, werden wir wohl mit Parler eine schmutzige Nische bekommen, in der rechtes Gedankengut kultiviert wird. Aber wir sind überzeugt: Wenn der öffentliche Glanz weg ist, hat auch Trump keinen Bock mehr.

#Streaming – Fernseher aus, Twitch an

Medienpräferenz ist eine Generationenfrage. Bei jüngeren Zielgruppen haben Youtube und Twitch die klassischen Angebote des Fernsehens bekanntlich schon abgelöst. Mit rund 50 Millionen Stunden an Wahlreportagen haben die beiden Portale mit ihren Streaming-Angeboten den etablierten Formaten fast den Rang abgelaufen. Gerade der eher demokratische und sehr politische Streamer Hasan „HasanAbi“ Piker konnte sich dabei ein großes Stück vom Kuchen abschneiden.

Die politische Präferenz ist wohl ebenfalls eine Generationenfrage. Während es sich die republikanische Seite mit Twitch verscherzte, wurde das Angebot des demokratischen Shooting-Stars Alexandria Ocasio-Cortez (AOC), live Among-Us zu spielen und dabei Fragen zu beantworten, von der Community wärmstens aufgenommen. Folglich verwundert die Freude über Bidens Sieg in der Twitch-Community auch nicht.

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#Youtube – So schön falsch

Youtube ist etwas unter die Räder gekommen, weil es Falschmeldungen, die Trump zum Sieger erklären, nicht löscht. Youtube selbst sagt, dass es Videos mit verifizierenden oder bestätigenden Meldungen verknüpfe. Aber löscht eben nicht. Stattdessen ist man dazu übergegangen, diese Videos zu demonetarisieren – was mit anderen Worten heißt, es wird mit ihnen keine Werbung mehr ausgestrahlt. Also, ob das so eine große Strafe ist?

Warum man sich da aber gesondert über Youtube aufregt, können wir ebenfalls nicht nachvollziehen. Die anderen Netzwerke löschen die Falschinformationen ja auch nicht, sondern labeln sie lediglich als fragwürdig.

#Furries – VR-Spaß im Hinterhof

Der Auftritt Rudy Giulianis im Hinterhof – zwischen Landschaftsgärtner, Krematorium und Sex-Shop – gehört wohl, wie die spirituelle Beraterin, zu den überdurchschnittlich skurrilen Momenten, die das Trump-Lager selbst geliefert haben. Der szenebekannte Youtuber und VR-Spezialist Coopertom hat für seine Furry-Freunde das Ambiente als VR-Raum nachgebaut. Der Spaß, den seine Fell-Freunde dort im VR-Chat haben, ist unüberhörbar.

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#QAnon – Wie Yoga ein Teil der Bewegung wurde

„Menschen fühlen sich von Yoga und Spiritualität angezogen, die sich vom medizinischen System ausgegrenzt und enttäuscht gefühlt haben. Für viele Frauen ist es so, dass sie sich bevormundet gefühlt haben.“ (Julian Walker)

Mit dieser Beobachtung erklärt der Yoga-Lehrer Julian Walker, wieso sich das Gedankengut von QAnon, der Verschwörungssekte um einen unbekannten Insider der Washington-Elite, so gut in der Welt von Yoga und Wellness einnisten konnte. Und darin liegt auch die tiefere Gefahr dieser Einflussnahme: Yoga-Fans rezipieren die Verschwörungstheorien nicht im politischen Kontext, sondern fühlen sich bestätigt, denn diese Community war schon immer offen für alternative Lösungswege.

Die Yoga-Lehrerin Jennifer Davis-Flynn berichtet im gleichen Insider-Artikel, wie sie auf dem Weg zu den Wahlen den Einfluss der QAnon-Bewegung immer stärker spürte. Yoga-Influencer reicherten ihre eigentlich friedlichen Insta-Feeds zunehmend mit bedrohlich schwurbelnden Verschwörungswarnungen an – und trafen leider oftmals auf fruchtbaren Boden. Die bekannte Yoga-Entrepreneuse Seane Corn bezog gegen QAnon Position und musste einige Follower ziehen lassen. Aber man könne in so einer Situation nicht unpolitisch bleiben und Yoga kann man dann auch nicht von der Politik trennen, so Corn.

Einige Yogis und Yoga-Fans haben sich sicher schon tiefer im diffusen rechten Feld verlaufen. Aber ein großer Teil der Yoga– und Wellness-Branche kämpft nun schon seit Monaten gegen die Einflussnahme durch QAnon an. Und der Kampf wird wohl noch länger andauern.

 

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Ein Beitrag geteilt von Shannon Algeo (he/him) (@shannon.algeo)

#Groups – „Schwule Kommunisten“

Dass Trump-Anhänger sich auch auf Facebook organisieren würden, war vorhersehbar. Ebenso wenig überraschend ist, dass Facebook eine Gruppe „Stoppt den Diebstahl“ (Stop the steal), die sich um den Mumpitz einer manipulierten Wahl drehte, dicht gemacht hat. Am nächsten Tag war aber wieder eine gleichlautende Gruppe auf Facebook, der auch prompt 60.000 Trump-Enthusiasten beitraten. Nur hieß diese Gruppe 24 Stunden später „Schwule Kommunisten für Sozialismus“ und es wurde schnell klar: Diese Gruppe wurde nur eröffnet, um Trump-Fans zu trollen. Die Trumpster waren außer sich und wollten, dass die Gruppe wieder umbenannt wird. Doch die Admins der Gruppe trollten weiter und behaupteten fälschlicherweise erst, die Umbenennung sei zum Schutz der Gruppe erfolgt, und dann, dass Facebook selbst die Gruppe gehackt hätte. Mittlerweile ist die Gruppe allerdings auch nicht mehr erreichbar.

#SocialMedia – Digitale Mythen und der Blick in die Glaskugel

Versuchen wir zum Ende noch etwas Lehrreiches mitzunehmen. Casey Newton, Korrespondent von The Verge, ist nach der Wahl zu einer sehr pessimistischen Beobachtung gelangt: Das Besondere an der Wahl 2016 sei gewesen, dass der Wahlkampf eigentlich nie aufgehört habe. Trumps unaufhörliches Bombardement der Sozialen Medien sei nie einer politischen Normalität gewichen, sondern habe sich als bitterer Normalzustand etabliert. So treffend diese Beobachtung ist, die eigentliche Erkenntnis wird wohl sein, dass wir auch nach dieser Wahl 2020 nicht an eine Rückkehr zu einer vermeintlich rettenden Normalität glauben müssen. Es spricht mehr für die Befürchtung, dass wir viele Springteufel nicht zurück in die Box werden drängen können. Doch wieviel Einfluss hat das wirklich auf Wähler und persönliche Entscheidungen?

Im Vorfeld der Wahlen hat sich MIT-Professor Sinan Aral auf Basis von empirischen Untersuchungen zu den Mythen der Einflusskraft Sozialer Medien geäußert (Debunking Election and Social Media Myths, s.u.). Vorab drei wichtige Erkenntnisse aus seinem Beitrag:

  • Social Media hat nur einen sehr geringen Einfluss darauf, worauf bzw. für wen wir uns bei Wahlen entscheiden. Social Media hat allerdings einen sehr starken Einfluss darauf, ob wir überhaupt wählen gehen. Facebook hat dieses Verhalten mehrfach untersucht und ist zu dem eindeutigen Ergebnis gekommen, dass Social-Media-Kampagnen die Stärke der Wahlbeteiligung beeinflussen können.
  • Targeting durch russische Akteure hat 2016 vornehmlich Swing-States anvisiert. Die Botschaften, die dort gepflanzt wurden, drehten sich meist um „Voter Surpression“. Das bedeutet: Falschmeldungen, die thematisierten, wie man bestimmten Wählergruppen die Wahl erschweren sollte. Die Formate der Manipulationen russischer Trolle waren dabei überwiegend Memes, welche Hillary Clinton eine Abneigung gegen schwarze Wähler unterstellten.
  • Falschinformationen sind eine Bedrohung, weil sie sich schneller und stärker verbreiten, als zutreffende. Untersuchungen haben ergeben, dass falsche oder erfundene Informationen mit einer um 70 Prozent höheren Wahrscheinlichkeit geteilt werden und sich 6-mal so schnell verbreiten.
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Die größte Gefahr, die von Fake-News ausgeht, ist nicht die Lüge an sich. Fortlaufende Falschmeldungen, die alle in ein bestimmtes Narrativ einfließen, kreieren eine parallele Realität. Eine parallele Wahrheit, die zwangsläufig Gesellschaften spalten kann. Dabei ist es falsch zu glauben, dass die eine Partei diabolisch böse sei und die andere altruistisch und von göttlicher Barmherzigkeit.

Ja, es gibt eine unbelehrbare Restmenge, die Rassismus und Antisemitismus für etwas Positives und Gerechtfertigtes halten. Aber das ist nicht die Mehrheit. Für die Mehrheit gilt zum Glück noch: Was innerhalb von Filterblasen als gut oder böse, richtig oder falsch gilt, ist meist identisch. Nur sind die Narrative leider zu oft sehr selektiv und führen dazu, dass man jede abwertende Information über den politischen Gegner eher glaubt und jede aufwertende Information unreflektiert dem eigenen Lager zuschreibt.

Die gute Nachricht ist also, Aufklärung und Feingefühl können viel retten. Die schlechte Nachricht wäre die Befürchtung des oben genannten Casey Newton: Haben unsere Werkzeuge die Kraft das zu leisten? Können wir die Verirrten wieder einfangen?

Artikelbild: DonkeyHotey (CC BY-SA 2.0)

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One reply to “Nachlese: US-Wahlen 2020 und das Social Web”

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