Die Netzwelt präsentierte sich im Juni sehr lebendig. Von einer bevorstehenden Urlaubszeit war noch nichts zu spüren: Eine Frau zeigte einem obszönen Troll, wo der Frosch die Locken hat. Agenturen gewannen Preise mit Fake-Apps. Ein gehypter Internet-Manager wurde durch den eigenen Börsenkurs entzaubert. Und Peter Dinklage war der Mem-König des Monats. Also, Füße hoch, entspannen und gute Unterhaltung bei unserem Monatsrückblick.
#Snapchat – Katze ausm Sack
Jetzt ist es also endlich passiert: Snapchat will, dass auch Marken ihre Geschichten auf der Plattform erzählen. Im Klartext: Es darf geworben werden. Werbepartner können über eine spezielle Schnittstelle Werbung buchen und integrieren. Im Verhältnis nutzerfreundlicher und geschäftlicher Veränderungen steht es damit in Sachen Updates 1:1 (Stichwort Messenger).
#ChewbaccaMom – Aufstieg ohne Fall?
Die letzten zwei Monate müssen für Candace Payne surreal, wie im Film, gewesen sein: Ihr Facebook Live-Video brach alle Rekorde und seitdem wurden sie und ihre Familie mit Gadgets, Geld und Aufmerksamkeit überschüttet. Es liest sich etwas wie ein harmonischer Abschluss, dass die #ChewbaccaMom nun von Hasbro ihre eigene Actionfigur bekommen hat. Gut möglich, dass ihr der ganze Fall die Tür für eine weitere Karriere geöffnet hat – wir werden sehen. Ein paar Star-Allüren hat sie wohl schon entwickelt – für Autogramme nimmt Frau Payne bereits $20. Aber vorerst sollten wir uns eine Sache vor Augen halten: Candace Payne hat lediglich gemacht, wofür Social Media-Tools gebaut wurden – Emotionen authentisch mit seinen Freunden zu teilen. Und wie die Realität zeigt: Einfacher gesagt als getan.
Brian Goldner unveiled Candace Payne’s very own custom #ChewbaccaMom action figure @ Hasbro HQ! #HasbroStarWars pic.twitter.com/aTpQaCp1XW
— Hasbro (@HasbroNews) 17. Juni 2016
#NoMoreDickPics – Kinderkrankheiten des SocialWeb
Samantha Mawdsley postete ein kleines Restaurant-Review auf Facebook und bekam eine unerwartete Antwort. Ein nicht näher bekannter Herr schickte ihr, via Direktnachricht und zum Kennenlernen, ein Bild seines (mutmaßlich) besten Stücks – ein sogenanntes DickPic. Zunächst wollte sie es ignorieren, entschied sich dann aber für die Offensive und schickte diverse Penis-Portraits mit provokanten Bemerkungen zurück. Der Herr war gar nicht erfreut und verstand die Welt nicht mehr – anscheinend hielt er seine bildliche Offerte für angemessen. Wenig später war es Samantha Mawdsleys Account, der von Facebook gesperrt wurde. Ende vom Lied: Die Sperre wurde allein aufgrund der Proteste Dritter wieder aufgehoben und das Internet hat entschieden, dass Mawdsley die Schlacht gewonnen habe. Trotzdem wurde mal wieder klar: Vielen Menschen scheint immer noch nicht bewusst zu sein, dass in Sozialen Netzen die normalen Regeln zivilisierten Umgangs gelten. Und wie sich zeigte, ist das leider niemals ein Einzelfall, denn in der Folgezeit wurden ihr bereits weitere DickPics geschickt. Dass die Facebook-Admins hierbei auch nicht glänzten, wollen wir mal außen vor lassen. Der Fall noch einmal in ihrem Blog >>hier.
#CannesLions – Preise für Hochstapler
Das diesjährige Cannes Lions-Festival hat für einige peinliche Negativmeldungen gesorgt. Ein schönes Beispiel bietet da die App „I Sea“: Die App aus dem Hause Grey soll live Satellitenbilder aus dem Mittelmeer liefern, die von den Nutzern dann genau abgesucht werden können, um etwaige Flüchtlingsboote zu orten und der Rettungsorganisation „Migrant Offshore Aid Station“ (MOAS) zu melden. Flüchtlinge retten via App – klingt gut. Dummerweise stellte sich heraus, dass diese App kompletter Mumpitz ist – technisch im Entwicklungsstadium, hat faktisch nie funktioniert, Satellitenbilder waren ebenfalls gefaket. Auch Apple haben „I Sea“ kurz vor der Preisverleihung aus iTunes App-Store verbannt. Sich dem emotionalen Transporter der Flüchtlingskrise zu bedienen, nur um einen Kreativpreis für die Agentur einzuheimsen, und das auch noch mit einem Fake – das ist schäbig. Die Jury hat davon keine Notiz genommen und der App trotzdem einen Preis verliehen. Und das ist nicht mal eine Überraschung, weil: Schon so oft passiert. Das zum Thema Auszeichnungen.
https://youtu.be/wVQMtXY8xWw
#Soforthilfe – Lange Meldewege
Facebook hat sein Meldesystem für Postings um Benachrichtigungen bei Suizidgefahr erweitert. Dahinter stehe ein Team, welches rund um die Uhr Meldungen aufnehmen und an lokale Stellen weitergeben könne. Das ist natürlich grundsätzlich erst einmal eine gute Sache. Wir regen aber an, es gerne mal bei einem Posting eines Freundes auszuprobieren (und nicht abzuschicken). Der Meldeweg ist lang, umständlich und leider nicht sehr eindeutig. Es scheint die einheitliche Meinung von Psychologen und Politikern zu sein, dass es besser sei, etwas gut-gemeintes zu haben, als gar nichts. Wenn Suizidgefährdeten alleine durch Aufmerksamkeit geholfen werden kann, und das ist wohl so, dann kann man wenigstens von einem guten Start sprechen. Unbezweifelt ist diese Arbeit am besten lokal zu bewältigen. Da sieht es bisher jedoch noch recht mau aus.
#GameOfMems – Tyrion Tretroller
Der Umfang eines Mems hängt nicht zuletzt von der Bekanntheit und Beliebtheit eines verwursteten Objekts ab. Und es ist keine Überraschung, dass Peter Dinklage, auch bekannt als Tyrion Lannister aus Game of Thrones, beides ist – bekannt und beliebt. Nachdem ein Bild des Charaktermimen nun auftauchte, lief die Mem-Maschine richtig heiß: Nicht mit Weinbecher in Westeros oder Meereen, sondern auf einem Tretroller in New York City schoss ein Fotograf den Schauspieler ab, grimmig vermummt mit Sonnenbrille und Hoody. Mittlerweile haben sich bei BoredPanda knapp 100 verschiedene Bildmontagen eingefunden – das ist eine stattliche Zahl. Wenn es auf 20 Mem-Varianten kommt, ist man schon gut dabei. Aber 100 – alle Achtung. Aber die Vorlage ist auch ein Elfmeter mit Ansage. Nicht nur für GoT-Fans ein höchst unterhaltsames Vergnügen.
#AdBlocker – Die betroffenen Kreise
Die Bund-Länder-Kommission zur Medienkonvergenz ist ein Gremium, welches sich mit Rechtsfragen des Jugendschutzes, des Wettbewerbs und der Medienvielfalt beschäftigt. In der Arbeit eruiert die Kommission wichtige Themen und hat des Weiteren begleitenden und beratenden Charakter für die Entwicklung der rechtlichen Struktur auf nationaler und europäischer Ebene. Nun hat diese Kommission ihren Bericht veröffentlicht und, zur Überraschung vieler netzpolitischer Beobachter, haben es AdBlocker in die politische Agenda des Reports geschafft. Der Bericht erwähnt „betroffene Kreise“ (S. 20), die hier offensichtlich durch Lobbyisten ihre Interessen auf die politische Ebene bringen wollen. Der Fall wurde im Netz kaum wahrgenommen, zeigt aber wie ernst das Thema für die private Medienwirtschaft sein muss. Vor Gericht geben sich Siege und Niederlagen beider Seiten die Klinke in die Hand – Klarheit und Rechtssicherheit sind gerade auf gerichtlicher Ebene wohl nicht zu erreichen. Unterm Strich bleibt: Seitenbetreiber klammern sich an die Display-Werbung wie ein Ertrinkender an den letzten Strohhalm. Und die Bandagen werden härter.
#Ausgetrollt – PayPal kills Troll
Wer auf Twitch öffentlich zockt, kann sich von Zuschauern durch Kleinstspenden unterstützen lassen. Große Spenden sind eher selten, es zählt die Masse – und die Gamer können das Geld gut gebrauchen. Nun kommt es immer wieder vor, dass sich Trolle den Spaß erlauben, höhere Summen zu spenden, gute Reaktionen einzuheimsen und sich dann kurz vor Ende einer bestimmten Frist das Geld wieder rückabwickeln zu lassen. Da diese Praxis mittlerweile bekannt ist, sind die Bezahldienste aufmerksam geworden, wie ein Troll namens iNexus_Ninja jetzt erfahren musste. PayPal hat dem Troll die Rückabwicklung verweigert und Spenden im Wert von $50.000 auf den Konten der Gamer gelassen. Es ist nicht das erste Mal, dass der junge Mann die Twitch-Community getrollt hat. Und es scheint ihm auch nicht viel auszumachen, denn wie man seinem Twitter Account ansehen kann, der Bursche heißt Anthony Archer, stammt er aus gut betuchtem Hause, gehört also dem Soziotop der RichKids an. In dem Video unten sieht man eine Zusammenstellung von Reaktionen, als Gamer die Spenden erhielten. Schnell wird deutlich, wie surreal solche Aktionen sind. Wir hoffen, PayPal bleiben bei ihrem Kurs.
https://youtu.be/Zf5sBvfaI-Q
#FacebookLive – Gut geschmierte Saat
Kleiner Erklärbär: Seed-Finanzierung, oder auch Seed–Investment, nennt man Geldspritzen, die gewöhnlich jungen Startups verabreicht werden, um in die Gänge zu kommen. Auch Facebook nimmt diese Investments vor, allerdings nicht bei kleinen Unternehmen, sondern bei Prominenten und großen Verlagen wie Springer, damit diese exzessiv Facebook Live-Videos nutzen. Das steigert nicht zuletzt den Tausend-Kontakt-Preis, was sich, im Gegensatz zu Instant-Articles, jedoch noch nicht monetarisieren lässt. Eine Idee ist, das TV-Werbepausen-Modell zu übernehmen. Sollte dies funktionieren, sind gängige Fernsehformate als Live-Video bei Facebook auch nicht mehr fern. Wenn es so weiter geht, haben wir bald wieder die alten Modelle aus der Pre-Social Media-Zeit. Ein klassisches Beispiel für „Die Revolution frisst ihre Kinder“.
#Totalüberwachung – Abgeklebte Linsen
Früher hat man sich über Leute lustig gemacht, wenn sie die WebCam ihres Laptops abgeklebt haben. Seitdem wir wissen, dass die eingebauten Kameras und Mikrophone an Computern und Smart-Devices durchaus von außen gehackt werden können, und das nunmal auch gemacht wird, schwindet der Spott zugunsten der Skepsis. Wir haben im Juni von zwei Personen erfahren, dass sie sich der gleichen Praxis bedienen und das waren niemand geringeres als der Chef des FBI und Mark Zuckerberg. Der große Unterschied ist lediglich: Die meisten Menschen kleben die WebCam ab, weil sie das difuse Gefühl haben, es könnte wirklich passieren. Diese beiden Prominenzen wissen es vermutlich besser. Während jedoch der FBI-Chef James Comey offen zugab, seine Linsen abzukleben, war es im Falle Zuckerberg eher unfreiwillig: In einem Posting steht sein Laptop unauffällig am Bildrand. Bei genauerer Betrachtung sind die profilaktischen Klebearbeiten zu sehen. Die Herren müssen auch unendlich geizig sein, denn Webcam Abdeckungen gibt es mittlerweile für kleines Geld an jeder Ecke zu kaufen und sind auch nicht teurer als eine Rolle Klebeband.
#Smartphones – Zeichen der Sättigung?
Hat die Welt genug Smartphones? Der Eindruck könnte bei genauerer Betrachtung der Prognose zu Smartphone-Absätzen des Marktforschers Gartner entstehen. Demnach brechen die Verkäufe in 2016 offenbar massiv ein. „Massiv“ heißt in diesem Kontext, dass ein Wachstum von 7 Prozent erwartet wird. Das ist in der Tat massiv, wenn die Tatsache hinzugenommen wird, dass 2010 noch ein Wachstum von über 70 Prozent zu verzeichnen war – also in der Phase, als Smartphones gerade populär wurden. Allerdings wirkt es nicht mehr so massiv, wenn man bedenkt, dass das Wachstum damit 14 Prozent hinter dem in 2015 liegt. Wir sehen schon, Prognosen können auch schlecht gerechnet werden. Eine interessantere Frage wäre, was solche Entwicklungskurven über die Innovationszyklen der Branche aussagen – aber dazu bald mehr in unserem Blog. #Shengzhen
#RocketInternet – Rakete ohne Höhenflug
Der Börsengang der Berliner Startup-Schmiede Rocket Internet galt als der größte, oder zumindest gehypteste, seit T-Online. Bereits beim Start 2014 machte die Aktie keine gute Figur. Gründer Oliver Samwer gelang es immer wieder, Investoren zur Zuversicht zu motivieren und frisches Geld einzusammeln. Aber der Aktienkurs spricht seit seinem ersten Hoch eine andere Sprache: So wie der Kurs stetig fiel, sinkt anscheinend auch die Credibility von Wundermanager Oliver Samwer. Jetzt ist die Aktie auf ihrem Allzeittief angekommen und der Glaube an eine Wiederauferstehung, ist so gut wie nicht mehr vorhanden. Wer jetzt denkt, da müsse die Firma doch jetzt besorgt sein – Pustekuchen. Samwer gibt sich in Interviews weiter träumerisch zuversichtlich und geht jeglichen Fachfragen aus dem Weg. Don’t say we didn’t warn you.
#Hatespeech – Lesetipp
Wir möchten an dieser Stelle noch den Monitoringbericht Rechtsextreme und menschenverachtende Phänomene im Social Web der Amadeu-Antonio-Stiftung empfehlen. Der Anlass ist natürlich kein Schöner, aber der Bericht liest sich wie eine lehrreiche Einführung in die Hate-Kultur der Sozialen Medien. Auf rund 20 Seiten ist ein Überblick zu Gruppierungen, Methoden und Argumentationen zu erhalten. Für jeden, der im Grunde nur fassungslos vor dem Phänomen steigender Radikalisierung in Sozialen Netzen steht, findet sich hier sicher ein guter Erklärungsansatz. >> zur Studie.
#Disney – Erzählen mit Kulturtechnik
Und zum Abschluss noch eine kleine Empfehlung: Auf dem YouTube-Account von Disney gibt es eine schöne Rubrik namens „Disney as told by…“. Die Videos erzählen die Stories verschiedener Filme mit den Mitteln der digitalen Kommunikationsgesellschaft – Emojis für kurze Botschaften, Whiteboards zur Vereinfachung von Zusammenhängen oder auch Tsum Tsum-Figuren um Geschichten Stop-Motion-ähnlich nachzuerzählen. Es wäre sehr schön, wenn Disney das Portfolio noch erweitert – vielleicht um Snapchat oder die Taiwanese Animators.
Artikelbild: Kevin Dooley (flickr / Lizenzbestimmungen)