Auf dem Schlachtfeld heiß diskutierter Netzthemen, gibt es kaum ein difuseres und stiefmütterlicher angefasstes Topic als die Personalbeschaffung mittels Sozialer Netzwerke. Unverzichtbar und absoluter Standard, erklären moderne HR-Manager – überbewertet und zu kurz gedacht, kritisieren gerade viele Online-Marketer. Wo das Social Recruiting heute steht und wieso das Thema nicht allein in die Hände der Personaler gehört – unser kleiner Erklärbär.

Was ist neu im Social Recruiting?

Jobportale oder die Karriereseiten der Unternehmen waren bereits vor der großen Social Wende, Mitte der 2000er Dekade, beliebte und funktionierende Rekrutierungswerkzeuge. Und vor dem Hintergrund, dass sich daran auch in der Zeitrechnung nach Facebook, Twitter & Co. wenig geändert hat, stellt sich natürlich die Frage: Diskutieren wir wirklich über einen Paradigmenwechsel oder wieder einmal nur über Anpassungen und Lernprozesse im Umgang mit technischen Veränderungen?

Um eine wenig glorreiche Erkenntis vorweg zu nehmen: Die Bestandsaufnahme des Status Quo im Social Recruiting fällt eher ernüchternd aus. Das ist jedoch kein verlässliches Verdikt, zumal der Fokus in den Studien schwerpunktmäßig auf der Arbeit von HR-Managern liegt. Spezifische Unterschiede von Branchen, Berufen und Funktionen scheinen dabei nur marginal berücksichtigt zu werden. Später mehr.

Bestandsaufnahme – Wo stehen wir?

Die bekannte Personal-Expertin Eva Zils befragt jedes Jahr etwas über 400 deutsche Personalmanager zur Nutzung der digitalen Kanäle und besonders des Social Recruitings. Die Ergebnisse der letztjährigen Erhebung im Schnellcheck:

  • Die verbreitetsten Kanäle sind Jobportale bzw. –Suchmaschinen und die eigenen Karriereseiten der Unternehmen.
  • Unter den Sozialen Kanälen, die von Personalern selbst genutz werden, führen Xing und Facebook. LinkedIn wird lediglich in 54% der Fälle genutzt.
  • 46% nutzen Social Media für die Direktansprache von potentiellen Kandidaten.
  • 45% nutzen Social Media für die Publikation von Stellenanzeigen.
  • 43% nutzen Social Media zur Markenbildung (Employer Branding).
  • Facebook wird lediglich von 17% genutzt – das Schalten von Anzeigen ist mit 12% kaum verbreitet.
  • 61% halten ein Unternehmensprofil auf Xing, 37% nutzen die Plattform regelmäßig, 24% gelegentlich für Stellenausschreibungen. Maximal 28% schalten dort Anzeigen, 27% bewerben Jobs in Gruppen und nur 16% nutzen regelmäßig die Direktansprache, der Talent Manager wird marginal genutzt.
  • 29% halten ein Unternehmensprofil auf LinkedIn – die Vergleichszahlen zu Xing fallen hier noch niedriger aus.
  • Der zeitliche Aufwand für das Social Recruiting, beschränkt sich bei knapp 60% der Befragten auf 0 bis 5 Stunden pro Woche. Mengen von 10, 20 oder mehr Stunden pro Woche, teilen sich auf knapp 30% der Befragen auf.
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Quelle: online-recruiting.net

Wo hat die Kritik recht?

Wie bereits oben angeschnitten, werden bei den meisten Studien wichtige Rahmenbedingungen nicht oder nur unzureichend berücksichtigt: Nicht jedes Unternehmen hat einen Personalbedarf, der hohen wöchentlichen Aufwand rechtfertigen würde. Spezielle Taktiken und individuelle Ansprachen bieten sich bei Führungs- und Fachpersonal an – in der Masse reichen aber sicher auch die gängigen passiven Maßnahmen. Viele Berufsgruppen haben eigene Rekrutierungs- und Bewerbungsrituale, die auf dem Raster traditioneller HR-Maßnahmen nur bedingt registriert werden können. Bei besonders wertvollen Fachkräften bemühen sich gerne auch Abteilungsleiter oder deren Stab um neue Talente – HR-Manager haben in diesen Fällen nur administrativen Charakter.

Diese Rahmenbedingungen werden aber nicht nur bei den Studien der HR-Profis unzureichend berücksichtigt. Kritiker sehen darin nicht eine differenzierende Erklärung, sondern den Beweis für die bedingte Relevanz des Social Recruitings. Die einzige Erkenntnis, die sich uns wirklich offenbart: Social Recruiting macht für eine (wenn auch relevante) Minderheit Sinn, in der Masse könnte man aber gesonderte Budgets kaum rechtfertigen. Und das ist weder gut noch schlecht, sondern einfach nur der Fingerzeig, dass man den Pool der Bewerber differenzierter betrachten muss und dafür funktionierende Werkzeuge in den Sozialen Medien zur Verfügung hat.

Sind Personaler fit für die eigenen Herausforderungen?

Eine Kritik, die sich nicht weginterpretieren lässt: Viele HR-Manager zeigen eine sträfliche Passivität im Lernprozess, Soziale Werkzeuge einzusetzen. Ein kritischer Blick auf moderne Instrument:

Active SourcingDie aktive Suche nach und direkte Ansprache von wertvollen Bewerbern, ist für spezielle Stellen/Funktionen sehr verbreitet und auch erfolgreich. HR-Manager müssen sich dabei leider vorwerfen lassen, oftmals steif und wenig sozial kompetent (im menschlichen Sinne) aufzutreten. Hier ist nicht nur „Luft nach oben“, sondern vielleicht auch ein Umdenken bei der Zuständigkeit von Nöten.
CV-ParsingAutomatisierte Methoden, die beispielsweise gesammelte Aggregationen absuchen und dann persönliche Daten, beschreibende Formulierungen oder sogar Fotos via Gesichtserkennung herauslesen, werden punktuell stark genutzt. Wie es bei jeder algorithmischen Analyse von Datensätze jedoch ist, muss man sich fragen, ob dabei „findbare Idealantworten“ zu steifen Formulierungs-Routinen bei den Bewerbern führen könnten. Den kreativsten Bewerber findet man so jedenfalls nicht.
One-Click-BewerbungenDie Karriereseite der eigenen Web-Präsenz mit den berühmten Aktionsbuttons „bewerben über Xing/LinkedIn“ ausstatten und schon kommen die Bewerber? Für Kandidaten wie Arbeitgeber ist dieser Weg praktisch, aber entscheident ist, was danach mit den Daten und Vernetzungen geschieht. Im Worst Case findet hier auch nur eine weitere Datenaggregation statt, für deren Auswertung nur begrenzte Ressourcen zur Verfügung stehen (s. Budgets). Und es könnte sogar als billige Taktik für Lead-Generations in Karriere-Netzwerken gelesen werden.
MobileDie Zahl mobiler Zugriffe steigt. Die Anpassung der entsprechenden Karriereseiten an die technischen Bedürfnisse des Mobilen, steigt nicht. Kommando: Nachbessern.
Candidate ExperienceDer Bewerber soll sich nicht nur bewerben, er soll eine positive Erfahrung mit dem Unternehmen machen: Freundliche Ansprache, einfache Bewerbungsprozesse, kurze Reaktionszeiten, zeitnahe und feinfühlige Absagen. Das klingt nicht nur nach einer Selbstverständlichkeit, es klingt auch nach einem Fachbereich, der nicht bei Personalern liegt. Gleich mehr.
 sixt jobs , Social Recruiting
Bewerbungsbogen bei Sixt. Quelle: Screenshot

Jetzt könnten sich HR-Manager natürlich hinstellen und diese Techniken als moderne Lösungen für die digitale Welt verkaufen – würden die Defizite nicht so offensichtlich ins Gesicht springen. Automatisierte Methoden können immer nur Hilfsmittel sein, die Teile der Arbeit erleichtern. Das heißt: High-End-Werkzeuge garantieren keine High-End-Resultate. Und automatisierte Prozesse führen zwangsläufig zu Routinen, die zwar einerseits gewollt sind, andererseits aber auch die Flexibilität und individuelle Wahrnehmung vernebeln oder sogar komplett hemmen.

Perspektiven für Lösungen

Der Punkt „Candidate Experience“ gibt einen brauchbaren Hinweis: Wenn ich mir Gedanken darum mache, wie mein Image durch Bewerbungsprozesse beeinflusst wird, bin ich zu 100% im Kompetenzbereich „Markenbildung“ angekommen – im HR-Sprech „Employer Branding“ genannt. Ein großer Frikadellen- und Pommes-Verkäufer zeigte erst kürzlich, wie man dabei auch einen Image-Effekt für die ganze Marke erreichen kann. Und auch die B2B-Welt hat beeindruckende Ergebnisse vorzuweisen, wie jüngst ein Unternehmen für Fahrzeugtechnik demonstrierte.

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Ausschnitt einer aktuellen Employer-Branding-Kampagne von McDonalds. Quelle: YouTube

Die Schattenseite dieser Markenbildung ist vorprogrammiert: Die Idee des Employer Brandings überzeugt. Und es sollte jedem einleuchten, dass die Personalsuche die eigene Außendarstellung beeinflusst. Aber Trend-Druck erzeugt eben auch häufig verstolperte Denkprozesse. Und so stürzen sich Unternehmen dann in konstruierte Darstellungen, die mehr Schaden als Nutzen bringen. Wer sich im Internet-Zeitalter digital als Steve Jobs der Metalverarbeitung feiert, offline aber nur ein Schrauben Paul ist, darf sich nicht wundern, wenn er nur noch die Bewerber bekommt, die keine andere Wahl mehr haben. Ganz davon zu schweigen, dass man seinem Unternehmen einen Imageschaden zugefügt hat.

Fazit

Wir mögen uns nicht an pauschalen Abgesängen beteiligen. Wir stellen nur fest: Personalbeschaffung ist kein monolithischer Block, sondern bedarf einer starken Differenzierung – sowohl in der Konzeption als auch in der Auswertung von Untersuchungsergebnissen. Die Verteilung, in der Masse auf Jobportale und Karriereseiten zu setzen, erscheint uns, unter ökonomischen Gesichtpunkten, logisch. In der Praxis sieht es also nicht so schlecht aus: Die Struktur und die Instrumente stehen, man muss nur eruieren, ob man sich von Automatismen lähmen lässt oder bereits effiziente Lösungen gefunden hat. Die Einbindung Sozialer Netzwerke muss wachsen und wird es zwangsläufig. Aber hier liegt auch das einzige echte Defizit.

Jeder Aspekt des eigenen öffentlichen Auftretens, und davon birgt die Personalbeschaffung einige, trägt einen Kommunikationswert in sich. Employer Branding ist in diesem Kontext keine Option, sondern eine zwangsläufige Pflicht. Und da gehören Social Recruiting-Lösungen nicht allein in die konzeptionierenden Hände von Personalern, sondern bedürfen der Expertise von Branding- und Social Media-Strategen.

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