Eigentlich war es gar nicht unsere Absicht, solch einen düsteren Monatsrückblick zu verfassen. Behörden, die Persönlichkeitsrechte missachten, Schummeleien für Studenten, provokante Emojis und zwei tragische Todesfälle. Wir geloben Besserung und wünschen trotzdem gute Unterhaltung. Noch mal Kaffee nachschenken und dann los – der September.
#ElonMusk – Skurriles Intermezzo
Die letzten zwei Monate haben die erfreuliche Erkenntnis gebracht: Elon Musk ist auch nur ein Mensch. Für gewöhnlich galt der Südafrikaner immer als etwas maschinenhaft und gefühlsneutral. Um so größer die Verwunderung um seine skurrilen Auftritte: Seine E-Auto-Schmiede kommt auf keinen wirklich grünen Zweig. Da scherzte er plötzlich in einem Tweet, vielleicht den ganzen Laden von der Börse zu nehmen und privat zu halten. Nicht nur die Börsenkurse liefen Amok, einige seiner Tesla-Manager liefen auch, und zwar davon. Und in der ganzen Verwirrung steckte er sich bei Joe Rogan dann auch noch einen Joint an, was selbst sein engerer Freundeskreis etwas befremdlich fand.
Jetzt gab es erst mal einen Maulkorb für den Tesla CEO: Die amerikanische Börsenaufsicht SEC hatte nämlich nicht so viel Humor und Verständnis für Musks Eskapaden übrig und drohte ihn für seinen Tweet und die Folgen daraus auf Kapitalmarktbetrug zu verklagen. Dies konnte zu einem hohen Preis noch abgewendet werden: Musk muss als Vorsitzender des Tesla Verwaltungsrates zurücktreten, zahlt $ 20 Mio. an die SEC und die gleiche Summe erhält die Behörde noch mal von Tesla selbst. Zudem richtet der Verwaltungsrat seiner eigenen Firma einen Ausschuss aus Unabhängigen ein, welcher die Kommunikation des CEOs überwacht und kontrolliert. Tja, extrovertiert will gelernt sein.
#SriLanka – Blank gezogene Dummheit
Wir haben eine gute Idee. Wie wäre es mit einem Reiseführer, der die DOs und DON’Ts des Social-Media-Verhaltens von Touristen aufführt? Da stünde dann beispielsweise für Sri Lanka: „Der Pidurangala Felsen gilt als religiöser Ort. Besuchen Sie das Naturmonument nicht zu leicht bekleidet und verhalten Sie sich respektvoll.“ Das hätte den jungen Männer sicher geholfen, die für das lustige Bild mit blank gezogenem Hintern festgenommen wurden. Die Blankzieher waren nicht einmal ausländische Touristen, sondern einheimische Besucher. Allerdings ging die Initiative nicht von den jungen Männern aus, sondern von einer gewissen Rachel Brax, welche mit ihrem Instagram-Account Cheeky Exploits Leute ermutigt, ihre Rückansicht für ein Foto zu entblößen.
Auf dieses Bild muss die Gute dann wohl in ihrer Sammlung verzichten. Ein kleiner Verlust, verglichen mit der Debatte, die dieser Vorfall in Sri Lanka ausgelöst hat. Selbst die Politik hat sich eingeschaltet und das Volk hat seine Meinung in den sozialen Medien auch dazu beigesteuert. Und diese Stimmen ergreifen nicht gerade Partei für die religiös Gekränkten, sondern klagt an, dass mal wieder aus einer Bagatelle eine Staatsaffäre gemacht wird. Tja, was eine kleine dumme Idee alles auslösen kann.
#Instagram – Keiner will mehr mit Mark spielen
Erst kürzlich mussten wir lesen, dass Brian Acton, Mitbegründer von Whatsapp, Facebook verlassen hat. Auch wenn er durch den Verkauf ein sehr reicher Mensch wurde, machte es ihn auch zu einem sehr deprimierten Mann. „Ich habe die Privatsphäre meiner User verkauft“ bereut er heute. Seine Erzählungen aus dem Facebook-Universum geben nicht nur Einblicke ins düstere Reich des Zuckerbergs, sie erklären auch was nun passiert ist.
Kevin Systrom und Mike Krieger, Gründer von Instagram, hatten jetzt nämlich ebenfalls endgültig den Kaffee auf und verabschiedeten sich von Facebook. TechCrunch berichteten, dass Zuckerberg in der Vergangenheit seine eigenen Leute auf wichtigen Instagram-Positionen installierte, um die ursprünglichen Leute im Sinne Facebooks unter Druck zu setzen. Im Kampf um die Ausrichtung des Bilderdienstes hat Zuckerberg sich offensichtlich durchgesetzt. Und vielleicht ist es anderen Start-Ups eine Lehre, was langfristig passiert wenn man an Facebook verkauft.
#TimesNewerRoman – Schummeln by design
Wer Bachelor-, Diplom- oder Masterarbeiten schreiben muss, bekommt für gewöhnlich auch Vorgaben zur minimalen Seitenzahl, Schrifttypen, Zeilenabständen und Schriftgrößen. Vorgeschrieben ist oftmals Times New Roman und die geforderte Seitenmenge erscheint Studenten nicht selten schwer erreichbar. Notleidenden Schreibern offeriert sich jetzt eine Schummelei: Times Newer Roman. Sieht aus wie der Pflicht-Font, ist aber 15 Prozent breiter. Braucht man für 15 Seiten rund 6680 Wörter, so kommt man mit der neuen Schriftart bereits mit 5833 Wörtern aus. Wir möchten an dieser Stelle mal darauf hinweisen: Bei rund 6700 Wörtern ca. 850 zu sparen, ist keine wirklich großer Gewinn. Und wenn es auffliegt, war die ganze Arbeit für die Katz, denn es gilt als Betrugsversuch. Dann doch lieber noch eine Grafik einfügen.
#gyyporama – Mopsmeise und Löwenhamster
Zur Auflockerung eine kleine Empfehlung. Der norwegische Elektronikingenieur Arne Olav Gurvin Fredriksen kreuzt mittels Photoshop Tiere. Nur als Hobby, aber immerhin 3 bis 4 Exemplare pro Monat. Nun hoffen wir stark, dass sich Gentechniker nicht von diesem Instagram-Account inspirieren lassen.
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#FacebookCleaner – Drecksarbeit
Das System hat sich mittlerweile sehr bequem für Facebook eingespielt. Subunternehmer übernehmen die Reinigungsarbeiten, welche täglich Inhalte wie sexuellen Missbrauch, Pädophilie, Vergewaltigungen, Folter, Tiersex, Enthauptungen, Suizide oder Morde entfernen sollen. Laut dem sozialen Netzwerk sind diese Subs angehalten, Betreuungsangebote anzubieten. Eine Recherche der Süddeutschen Zeitung aus dem Jahr 2016 warf einen Blick in ein Berliner Löschzentrum Facebooks. Die Reportage zeigt, die psychischen Schäden, welche die Cleaner davontragen, sind so gravierend, dass symbolische Betreuungsprogramme nur als Farce bezeichnet werden können.
Selena Scola ist so eine ehemalige Mitarbeiterin aus San Francisco und verklagt nun Facebook, da diese ihrer Fürsorgepflicht für Mitarbeiter nicht nachgekommen seien. Die ex-Moderatorin des Portals leidet seit diesem Job unter posttraumatischen Belastungsstörungen. Der Fall könnte für Facebook durchaus unangenehm werden, denn die Kläger erhoffen sich den Status einer Sammelklage. Sollte das eintreffen, könnten theoretisch alle geschädigten Cleaner weltweit ein Klageverfahren in den USA anstreben. Und das würde teuer für den Herrn Zuckerberg.
#OkEmoji – Rassisten-Geste oder harmloses Emoji?
Anfang 2017 starteten ein paar Spaßvögel auf 4Chan einen Hoax mit dem Titel „O-KKK“: „Überflutet die Netzwerke mit der Behauptung, dass die OK-Geste ein verstecktes Zeichen für White Power sei“. Dabei bilden die abgespreizten Finger das W für White und der Kreis aus Zeigefinger und Daumen das P für Power. Und weil das Netz zur Zeit nun einmal übersensibel ist, schlug dieser Hoax mit dem Ziel, Liberale zu trollen, voll durch. Jeder, der diese Geste oder das Emoji verwendete, war prompt im Verdacht, Rassist zu sein. Und die Echten, wie beispielsweise Großteile der Trump-Anhänger, machten das Zeichen extra, um eine entsprechende Reaktion zu provozieren.
Nun hat die renommierte Anti-Defamation League festgestellt: Das OK-Symbol ist kein Zeichen für White Power. Damit ist auf jeden Fall sichergestellt, dass das hysterische Beschuldigen erst einmal ein Ende hat. Aber wir dürfen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon ausgehen, dass die Fraktion der Rechtskonservativen, Liberalenfeinde und Trump-Groupies dieses Symbol weiterhin verwenden wird, einfach nur um weiterhin Reaktionen zu provozieren.
#TaraFares – Tod einer Influencerin
Mit 2,7 Mio. Followern auf Instagram war die ehemalige irakische Schönheitskönigin Tara Fares eine der wichtigsten Influencerinnen der arabischen Welt. Ende September wurde sie in Bagdad auf offener Strasse mit drei Schüssen getötet. Nun ist es leicht, sich dieses Verbrechen als politisch-religiös motivierten Mord herzuleiten. Ihr extrovertierter Lebensstil, ihre gewagten Outfits, ihre Tattoos oder ihr Selbstbewusstsein klingen nach wunderbar stereotypen Provokationen für die konservative arabische Welt. Aber so leicht ist es nicht.
Kritische Beobachter sagen, ihr Tod war so vorhersehbar wie überraschend. Gut möglich, dass der Mord auf das Konto ultrakonservativer Betonköpfe geht. Das größere Problem ist jedoch, dass der Irak seit dem Ende Saddam Husseins keine zivile Ordnung mehr besitzt. Vor diesem Hintergrund ist Fares‘ Karriere um so beeindruckender gewesen. Sicher ist auch, dass Fares mehr als nur Influencerin und Beauty Celeb war, sondern auch eine wichtige Rolle für die Rückkehr des Landes zur Normalität spielte. Somit ist ihr Schicksal auch mehr als nur der Tod einer Influencerin.
#PolizeiEssen – Persönlichkeitsrechte? Geschenkt!
Wenn Fotos von Demonstrationen oder anderen Großveranstaltungen gemacht werden, dürfen Teilnehmer nur als Teil der Masse, nicht aber einzeln klar erkennbar abgebildet werden. Das nennt sich Persönlichkeitsschutz. Die Polizei Essen hat nicht nur Bilder von Gegendemonstranten einer rechtspopulistischen Demonstration gemacht, auf denen die Teilnehmer klar identifizierbar sind. Sie haben diese Bilder auch auf ihren sozialen Kanälen verbreitet. Die Ordnungshüter geben vor, dies nur zum Zweck der Dokumentation der eigenen Pressearbeit und damit den Gegendemonstranten eher einen Gefallen getan zu haben. Das sieht die andere Seite nicht so. Hier würden persönliche Daten in Bildform öffentlich gespeichert, was einen Rechtsbruch darstelle. Davon ab hat es ein Geschmäckle von Einschüchterung, zumal Rechtsextreme dank der Polizeiarbeit und moderner Gesichtserkennung frei Haus neue Namen für ihre Feindeslisten geliefert bekommen.
Um den Relativierern vorzugreifen: Es ist nicht das Gleiche, wie ein aufgebrachter ehemaliger LKA-Mitarbeiter, der aus einer anonymen Masse aktiv heraustrat, sich aktiv einen Meter vor eine Kamera stellte und dann skandierte „Hören Sie auf mich zu filmen“. Hier wurden Demonstrationsteilnehmer gezielt und klar identifizierbar fotografiert und dann veröffentlicht. Und das sah das Verwaltungsgericht genau so: Die Richter kamen aber erst gar nicht zu den Persönlichkeitsrechten oder der klaren Identifizierbarkeit. Den Polizisten ist es schon gar nicht erlaubt, die Teilnehmer wahrnehmbar zu dokumentieren, weil hierbei der Eindruck entstehen könnte, man würde sie bei der Ausübung ihres verbrieften Versammlungsrechts beobachten und kontrollieren. Wir sind uns sicher, das war nicht das letzte Gericht, das dieses Urteil sprechen muss.
#Nachruf – Claire Wineland, April 1997 – September 2018
Zum Abschluss mal kein erheiterndes Netzstück, sondern ein Nachruf: Claire Wineland ist tot. Warum ist das eine Meldung wert? Kleiner Rückblick: Wineland litt an zystischer Fibrose, einer vererbbaren Stoffwechselerkrankung, die wir auch als Mukoviszidose kennen. Obwohl ihr Ärzte früh nur eine kurze Lebenserwartung bescheinigten, wurde sie mit 13 Jahren aktiv und gründete die Organisation Claire’s Place Foundation, mit der sie andere Menschen mit chronischen Erkrankungen und deren Familien unterstützte.
Sie galt als Pionierin dieser Form von Aktivismus, denn als sie vor acht Jahren damit anfing, öffentlich über ihre Erkrankung zu sprechen, galt das noch als ein kleiner Tabubruch. Gerade mit 13 Jahren. Mit knapp 300 000 Followern auf YouTube oder Auftritten bei TED Talks gab sie anderen chronisch Erkrankten eine Stimme. Sie klärte nicht nur über Krankheiten auf, sondern gab sehr offen Einblicke in das Seelenleben der Betroffenen.
Eine Woche nach der lange erhofften beidseitigen Lungentransplantation starb Claire Wineland am 2.September mit 21 Jahren. Sie spendete alle ihre Organe.
Artikelbild: Eugene Capon (Pexel License)