Für manche sind Emojis der Niedergang der Kommunikation. Andere verstehen sie als notwendiges Werkzeug in der heutigen digitalen Schriftsprache. Am 17. Juli ist Welt-Emoji-Tag und wir erklären, warum es Zeit wird, die Kritik in die Mottenkisten zu packen und die hilfreichen Bildzeichen endlich zu akzeptieren.

Emojis: Von Setzerscherzen und Emoticons

Setzerscherze aus dem Kreisblatt für den Kreis Malmedy (1893).
Setzerscherze aus dem Kreisblatt für den Kreis Malmedy (1893). Quelle: Public Domain

Wenn man die Historie der Emojis ganz genau entblättern wollte, müsste man vermutlich bei Höhlenmalereien oder Hieroglyphen anfangen. Wir setzen da an, wo die Idee erkennbar wurde, Gesichtsausdrücke durch Schriftzeichen auszudrücken. Seit den Neunzigerjahren hat sich für diese Technik der Begriff „Emoticons“ durchgesetzt. Die Idee, Gesichter aus Satzzeichen zu formen, ist allerdings gut hundert Jahre älter.

Bereits im späten 19. Jahrhundert kamen mit dem verstärkten Druck von Presseerzeugnissen sogenannte „Setzerscherze“ auf (siehe rechts). Wer sie erfunden hat, ist leider nicht überliefert. Dass die Idee nicht nur überdauert hat, sondern auch etablierte Wertschätzung erfuhr, dokumentiert eine viel zitierte Passage Ludwig Wittgensteins aus den späten Dreißigerjahren:

[…] Wenn ich ein guter Zeichner wäre, könnte ich mit vier Strichen unzählige Gesichtsausdrücke hervorbringen. […] Dann würden unsere Beschreibungen viel flexibler und vielseitiger sein als beim Gebrauch von Adjektiven. […] – Ludwig Wittgenstein, Vorlesungen und Gespräche über Ästhetik, Psychologie und Religion (1938)

Der Siegeszug der Emoticons aus Punktzeichen und Klammern begann jedoch nicht erst mit ihrer Popularität in den Chats der Neunzigerjahre. Dem allgemeinen Narrativ folgend, fing dieser Trend bereits 1982 im ARPANET an: Der Informatiker Scott E. Fahlman schlug vor, Emoticons in Chats zu verwenden, um ironischen Bemerkungen Ausdruck zu verleihen und damit vor allem Missverständnissen vorzubeugen.

Next Stop: Japan

Die Geschichte der Emojis, so wie wir sie heute kennen und nutzen, beginnt Ende der Neunzigerjahre in Japan, wo die kleinen Bildchen auch ihren Namen erhielten: Bild (E – 絵) und Buchstabe/Charakter (Moji – 文字). 1999 veröffentlichte der japanische Mobilfunkanbieter NTT Docomo das erste Set mit 176 Emojis, welches für Mobiltelefone und Pager auf i-mode verfügbar war.

Die Etymologie asiatischer Schriftzeichen. Quelle: Quora
Die Etymologie asiatischer Schriftzeichen. Quelle: Quora

Dass die Idee, Schrift mit Symbolen anzureichern, ausgerechnet in Asien weiterentwickelt wurde, sollte nicht verwundern. Viele japanische/chinesische Schriftzeichen sind im Grundgedanken Symbole für Objekte (siehe rechts).

Shigetaka Kurita, der ursprüngliche Projektleiter von NTT Docomo, erklärt, dass bewusst nicht nur Emotionen, sondern auch Geschäftssymbole für Banken oder Convenience-Stores erstellt wurden. Da japanische Businesses natürlich auch mit der i-mode-Plattform arbeiteten, konnten die Emojis praktischerweise auch für werbliche Zwecke verwendet werden.

Das originale und ursprüngliche Emoji-Set von NTT Docomo befindet sich übrigens in der Design-Ausstellung des Museum of Modern Arts in New York. Wie der MoMa-Mitarbeiter in dem Video erklärt (s. u.), gibt es kaum ein anderes Design-Werk, welches mehr Menschen erreicht hat, als Emojis. Shigetaka Kurita sagte, dass ihm erst in der Ausstellung bewusst wurde, was für eine internationale Sprache mit den Emojis geschaffen wurde.

Das originale Set der 176 Emojis.
Das originale Set der 176 Emojis. Quelle: NTT global

Trotz ihrer Einführung in den späten Neunzigerjahren und der raschen Popularität, mussten die meisten Nutzer noch 10 Jahre warten. Erst 2010 akzeptierte das Unicode-Konsortium Anträge, welche bereits seit 2007 gestellt wurden, Emojis in den Unicode-Standard aufzunehmen. Damit gingen sie dann endgültig ins allgemeine Zeichensystem ein und waren für alle Nutzer, egal welche Plattform oder welches Fabrikat, verfügbar.

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Die Sache mit den Meta-Ebenen

Der gute alte Paul Watzlawick erklärte uns schon: Man kann nicht nicht kommunizieren. Gemeint ist selbstverständlich, dass sich Kommunikation nicht auf Schrift und Sprache beschränkt: Gesten, Körperhaltung, Geräusche, wie man sich kleidet, wie man die Haare trägt – all das vermittelt natürlich auch Botschaften, Gefühle, Zustimmung oder Ablehnung und öffnet für jede schrift- oder lautsprachliche Mitteilung weitere semantische Meta-Ebenen.

Die Sprachwissenschaften kennen keine Regel, welche vorschreibt, ausschließlich Schriftsprache zu nutzen. Im Gegenteil: Sprache hat sich zu unterschiedlichsten Zwecken immer weiterentwickelt, um das Ausdrucksvermögen zu steigern und zu optimieren. Wenn wir dabei beispielsweise an technische Formulierungen aus Gebrauchs- oder Dienstanweisungen denken, kann man nicht sagen, dass Schriftsprache per-se zum Erhalt der kommunikativen Ästhetik beiträgt.

So gesehen schaffen Emojis das, was Sprache nur mit aufwendigen stilistischen Mitteln erreicht und sich selbst dabei anstrengen müsste: Sie eröffnen in kompakter, simplifizierter, aber praktischer Form Meta-Ebenen, welche Botschaften nahezu mehrdimensional erfassbar machen.

Die zwei Gesichter der Emojis

Sind Emojis also unfehlbare Kommunikationswunder? Nein, bei Weitem nicht. Das wäre aber auch eine realitätsferne und unfaire Anforderung. Wurden Emojis schon einmal falsch verstanden und haben mehr Missverständnisse erzeugt als verhindert? Ja, natürlich. Wie bei jeder Kommunikation kommt es auch bei Emojis auf wichtige Vorbedingungen an, wie beispielsweise das Alter, den Bildungsgrad, die Interessengruppe oder sogar den Kulturkreis:

  • Bedeutung vs. Interpretation: Viele Emojis werden nicht so genutzt, wie sie eigentlich gemeint waren: Das dampf-schnaufende Emoji wird von den meisten als wütender Ausdruck interpretiert. Gemeint war damit allerdings „triumphierend“. Und das kleine braune Häubchen, welches die meisten als „Kackhäufchen“ verstehen? Das sollte eigentlich Eiscreme bedeuten. Wer hätte es gedacht?
  • Andere Länder…: Emojis haben nicht überall auf der Welt die gleiche Bedeutung: Klatschende Hände stehen in den meisten Ländern für Respektsbekundungen – Applaus eben. In China versteht man unter dem Emoji jedoch auch sexuelle Handlungen. Oder die Handgeste für „Ok“: In Argentinien bedeutet sie „kleiner Kaffee“. In Brasilien oder der Türkei, dass man den Gegenüber für einen „Anus“ hält.
  • Semantik und Generationen: Emojis sind natürlich nicht nur faktische Bildentsprechungen. Wenn ältere Menschen Auberginen posten, meinen Sie vermutlich das Gemüse. Jüngere Generationen meinen damit „Penis“. Mit dem Emoji einer Ziege ist es ähnlich: Die einen sehen nur das Tier. Junge Menschen meinen damit jedoch respektvoll „G.O.A.T.“ – The Greatest of All Times.

Grußwort an die Kulturpessimisten

Natürlich wird es immer eine Fraktion von Kulturpessimisten geben, die vor Allem die Schattenseiten sieht: Missverstandene Emojis, kulturelle Unterschiede, Knowledge-Gap zwischen Generationen, vermeintliche Banalisierung der Kommunikation, und so weiter. Dem gegenüber stehen wissenschaftliche Erörterungen, welche die individuellen Motivationslage, Nutzungspattern oder gesellschaftlichen Auffälligkeiten freilegen. Also wie sieht es aus? Symbol des kommunikativen Niedergangs der Gesellschaft oder wissenschaftlich relevanter Gegenstand, der tiefe Einblicke gewährt?

Halten wir uns eher vor Augen, dass es keiner Emojis bedarf, um kommunikative Reibung zu forcieren. Der Grund für die Defizite der Emojis sollten eher dort gesucht werden, wo alle Kommunikationsmittel ihre Schwächen haben: Bei den Nutzern, dem unterschiedlichen Wissensstand, dem ungleichen Bildungshintergrund, dem fehlenden semantischen Vokabular, und so weiter. Wenn wir Probleme suchen, dann hätten wir hier ein paar Beispiele, die weitaus problematischer wären (Link unter den Bulletpoints):

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Emojis – Ein altes Bedürfnis mit viel Perspektive

1862 druckte die New York Times eine Rede Abraham Lincolns ab. In der Transkription taucht die Kombination 😉 auf und viele rätselten: Ist das schon ein sehr frühes Emoticon? Es ist sehr wahrscheinlich, dass es sich dabei eher um einen Satzfehler gehandelt haben wird. Aber im restlichen Text fällt auf, dass die Reaktionen des Publikums in eckigen Klammern hinter verschiedene Textpassagen geschrieben wurden. Und das dokumentiert unmissverständlich das Bedürfnis, dem geschriebenen Wort weitere Ausdrucksebenen beimischen zu wollen, um den Inhalt plastischer zu machen. Letztlich also der Grundgedanken, der auch hinter Emojis wie Emoticons steht.

applause and laughter ; ) – Versehen oder gewolltes Emoticon? Quelle: New York Times

Die Berechtigung von Emojis heute noch zur Diskussion zu stellen, ist daher vielleicht nicht mehr so zeitgemäß: Therapeuten nutzen Emojis in der Arbeit mit traumatisierten Kindern. Künstler versuchen immer wieder, die Bildsymbole in ihren Arbeiten einzubauen (s. o.). Viele Marken gestalten ihre Logos ähnlich wie Emojis. Und ein israelisches Museum erklärt, warum Emojis ganz in der Tradition der Hieroglyphen stehen.

Versuchen wir zum Welt-Emoji-Tag unsere kleinen bunten Freunde als das zu akzeptieren, was sie sind: Eine Option, die so gut oder so schlecht ist wie die Idee, mit der man sie einsetzt. Sie kann den Schreibfaulen noch schreibfauler machen. Aber sie kann auch eine Bereicherung sein, der Sprache zu neuer Ausdruckskraft verhelfen und Kommunikation plastischer machen. Und keiner ihrer Kritiker sollte glauben, dass sie wieder verschwinden. Sie sind gekommen, um zu bleiben.

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